Biomarker für die Beurteilung der Nierenfunktion
Geschrieben von Gilad Segevund Alexandra Slon
Ein frühzeitiger und präziser Nachweis einer chronischen Nierenerkrankung ist wünschenswert, ein Einzeltest zur Bestätigung der Diagnose steht aber nicht zur Verfügung.
Article

Kernaussagen
Die Diagnose chronische Nierenerkrankung (CNE) kann in den frühen Stadien der Erkrankung schwierig sein, in dieser Phase ist eine medizinische Behandlung jedoch am wahrscheinlichsten wirksam.
Die Harnkonzentrierungsfähigkeit der Niere ist häufig bereits beeinträchtigt, bevor eine Einschränkung der Nierenfunktion messbar wird. Das spezifische Harngewicht ist daher ein relativ sensitiver Marker für eine CNE im Frühstadium.
Kreatinin ist ein zuverlässiger Biomarker für die glomeruläre Filtrationsrate. Da die Konzentration aufgrund von Unterschieden in der Muskelmasse aber in erheblichem Maße schwankt, ist das Referenzintervall sehr breit.
Weitere Biomarker werden heute zunehmend als wertvolle Hilfsmittel für die Beurteilung der Nierenfunktion und die Überwachung der CNE anerkannt.
Einleitung
Die chronische Nierenerkrankung (CNE) kommt bei Hunden und Katzen sehr häufig vor, insbesondere in der geriatrischen Population; folglich gehören die Diagnose und die Behandlung dieser Erkrankung zur alltäglichen Routine in der Kleintierpraxis (1). Da die Nieren über eine signifikante funktionelle Reservekapazität verfügen, sind in der initialen Phase einer CNE oft keine klinischen Symptome zu erkennen. Polyurie und Polydipsie treten bei vielen betroffenen Tieren bereits in den frühen Stadien der Erkrankung auf, können jedoch geringgradiger Natur sein und werden von Tierhalter*innen oft übersehen. In der Veterinärmedizin kann sich die Diagnose einer CNE in den initialen Stadien als besonders schwierig erweisen, während die medizinische Behandlung zu dieser Phase wahrscheinlich am wirksamsten ist. Eine frühzeitige Diagnose bietet also die Möglichkeit einer rechtzeitigen therapeutischen Intervention, die darauf abzielt, das noch vorhandene funktionelle Nierenparenchym zu erhalten, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen, das Auftreten klinischer Symptome zu verzögern und sowohl die Lebensqualität als auch die Lebenserwartung des Patienten zu verbessern. Wird die Erkrankung hingegen erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, hat die Behandlung in erster Linie symptomatischen Charakter, da bereits ein erheblicher Teil des funktionellen Nierengewebes untergegangen ist.
Wie wird eine CNE am besten diagnostiziert?
Die Messung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) gilt als Goldstandard für die Beurteilung der Nierenfunktion. Die verfügbaren Methoden können technisch jedoch sehr anspruchsvoll sein (je nach verwendeter Technik), und die Ergebnisse sind oft schwierig zu interpretieren, so dass die GFR-Messung für den klinischen Routineeinsatz letztlich eher unpraktikabel ist (2). Auch die Nierenbiopsie gilt als Goldstandard für die Diagnose und die Charakterisierung von Nierenerkrankungen. Es handelt sich aber um ein invasives und kostspieliges Verfahren, das in der Regel nur bei bestimmten Indikationen eingesetzt wird, zum Beispiel für die Evaluierung glomerulärer Erkrankungen. In der Praxis stützt sich die Diagnose der CNE infolgedessen in erster Linie auf die Interpretation der Ergebnisse labordiagnostischer Tests und bildgebender Verfahren. Zu den üblichen Diagnoseinstrumenten für den Nachweis und die Überwachung von Nierenerkrankungen gehören Surrogatmarker für die GFR (z. B. Serumkreatinin [sCr], Harnstoff (oder BUN) und das symmetrische Dimethyl-Arginin [SDMA]), aber auch Harnuntersuchungen und die diagnostische Bildgebung (2, 3). Eine wesentliche Einschränkung dieser Marker ist neben ihrer geringen Spezifität auch ihre niedrige Sensitivität, insbesondere in den frühen Stadien der Erkrankung (Abbildung 1) (4). Die nicht-lineare Beziehung zwischen Filtrationsmarkern und der GFR hat zur Folge, dass signifikante Veränderungen der GFR in den frühen Stadien einer CNE nur zu geringen Veränderungen der Konzentrationen der Filtrationsmarker führen (Abbildung 2). Diese subtilen Veränderungen bewegen sich oft innerhalb des „normalen“ Referenzintervalls und werden daher übersehen bzw. als nicht relevant erachtet. Wahrscheinlich ist dies einer der Gründe für den weit verbreiteten Irrglauben, dass für den Nachweis mit Hilfe von Surrogatmarkern der GFR eine Abnahme der Nierenfunktion um mindestens 75 % erforderlich ist. (5). Tatsächlich ist aber zu erwarten, dass jede Abnahme der GFR zu einer erhöhten Konzentration von Filtrationsmarkern führt. Aufgrund der oben genannten Einschränkungen bleiben solche Veränderungen jedoch häufig unerkannt, insbesondere wenn das Referenzintervall des betreffenden Markers sehr breit ist.
Eine weitere Einschränkung der gegenwärtig verwendeten Marker besteht darin, dass mit ihrer Hilfe nicht zwischen den zugrundeliegenden Ursachen ihrer Erhöhung unterschieden werden kann, wie z. B. hämodynamischen Gründen (d. h. prä- oder post-renal) oder intrinsischen Nierenfaktoren (z. B. akute Nierenschädigung oder chronische Nierenerkrankung) (6). Daher muss unbedingt berücksichtigt werden, dass funktionelle Marker die Nierenfunktion nur an einem einzigen Zeitpunkt widerspiegeln. Ohne serielle Messungen können mit diesen Markern also weder die Ursachen eines Anstiegs identifiziert noch Trends bestimmt werden.


Biomarker zur Beurteilung der Nierenfunktion
Harnkonzentrierungsfähigkeit der Niere
Das spezifische Harngewicht (SHG) wird in der tierärztlichen Praxis häufig als zusätzliches Instrument für die Beurteilung der Nierenfunktion herangezogen und gilt als relativ sensitiver Marker für die Frühdiagnose von CNE. Häufig ist die Harnkonzentrierungsfähigkeit bereits beeinträchtigt, bevor eine Einschränkung der Nierenfunktion messbar wird. Bei Tieren mit Polyurie und Polydipsie sollte deshalb immer auch der Verdacht auf eine herabgesetzte Nierenfunktion abgeklärt werden (Abbildung 3). Das SHG ist jedoch ein unspezifischer Parameter, und eine renale Ursache sollte erst dann in Betracht gezogen werden, wenn andere Differentialdiagnosen ausgeschlossen wurden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass eine einzelne Probe mit niedrig konzentriertem Harn (d. h. SHG <1.030 bei Hunden oder <1.035 bei Katzen) nicht als Bestätigung eines Verlustes der Harnkonzentrierungsfähigkeit gelten kann (7). Ein persistierend niedriges SHG sollte immer in Verbindung mit der täglichen Wasseraufnahme beurteilt werden. Darüber hinaus ist das SHG kein hochsensitiver Marker für CNE, da die Harnkonzentrierungsfähigkeit der Niere in der Regel erst nach signifikanter Einschränkung der Nierenfunktion verloren geht. Zu berücksichtigen ist zudem, dass einige Tiere, insbesondere Katzen, ihre Harnkonzentrierungsfähigkeit im Frühstadium der Erkrankung aufrechterhalten können, selbst wenn funktionelle Marker die obere Grenze des Referenzintervalls überschreiten. In Fällen einer persistierenden Azotämie mit erhaltener Harnkonzentrierungsfähigkeit sollte eine CNE daher unmittelbar nach dem differenzialdiagnostischen Ausschluss anderer Azotämie-Ursachen in Betracht gezogen werden. In fortgeschrittenen Stadien der CNE ist jedoch davon auszugehen, dass alle betroffenen Tiere ihre Fähigkeit zur Konzentrierung des Harns verlieren.

Serumkreatinin
Kreatinin stammt primär aus dem Abbau von Kreatin und Kreatinphosphat im Muskelgewebe (8, 9). Die Freisetzung in den Blutkreislauf erfolgt mit relativ konstanter Rate proportional zur Muskelmasse, und die Entfernung aus dem Blutkreislauf erfolgt über die glomeruläre Filtration in der Niere, so dass Kreatinin ein zuverlässiger Biomarker für die GFR ist. Aufgrund von Unterschieden in der Muskelmasse schwankt die Kreatininkonzentration im Serum jedoch in erheblichem Maße. Bei Hunden kleiner Rassen ist die Konzentration im Serum tendenziell niedriger und bei Hunden großer Rassen eher höher. Die Folge ist ein bei Hunden relativ breites Referenzintervall für die Kreatininkonzentration im Serum. Aus diesem Grund wird die Anwendung rassespezifischer Referenzintervalle befürwortet (8). Zusätzlich erschwert wird die Interpretation von Kreatininwerten durch unterschiedliche Kreatinin-Referenzintervalle verschiedener Labore. Die Sensitivität und die Spezifität des sCr-Wertes beim Nachweis einer renalen Dysfunktion sind also in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt (10) (Tabelle 1). Wie oben erwähnt, kann die GFR in den frühen Stadien einer CNE signifikant sinken, während gleichzeitig die sCr-Werte nur minimal ansteigen und oft innerhalb des Referenzintervalls verbleiben. Für die Frühdiagnose einer CNE ist der sCr-Wert folglich nur von begrenztem Nutzen, es sei denn, man achtet sehr sorgfältig auf subtile Veränderungen innerhalb des Referenzintervalls. Vor diesem Hintergrund wird empfohlen, die sCr-Basiskonzentration bei einem gesunden Tier zu bestimmen und für sämtliche nachfolgenden Bestimmungen einheitliche Messmethoden zu verwenden und stets das gleiche Labor zu beauftragen. Dieser Ansatz ermöglicht aussagekräftige Vergleiche künftiger Werte mit dem Basalwert des Patienten, so dass man sich nicht auf breite und variable Referenzintervalle stützen muss. Unter diesen Voraussetzungen werden serielle Messungen des sCr zu einem wirksameren Diagnoseinstrument. Im Unterschied zur initialen Phase der Erkrankung führen in den späteren Stadien der CNE selbst geringe Abnahmen der GFR zu einem signifikanten und schnellen Anstieg der sCr-Konzentrationen.
Tabelle 1. Interne und externe Faktoren, die die Serumkreatinin-Konzentration (sCr) beeinflussen (10).
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Bei der Interpretation der sCr-Werte muss unbedingt auch die Körpergröße des Patienten berücksichtigt werden. Kleine Rassen weisen in der Regel niedrige sCr-Basalwerte auf (<1,0 mg/dl bzw. 88,4 μmol/l), mittelgroße Hunde haben in der Regel sCr-Konzentrationen um 1,0 mg/dl, und bei großen Rassen übersteigen die sCr-Konzentrationen diesen Wert in der Regel, wenn auch selten auf mehr als 1,4 mg/dl (124 μmol/l). Aus diesem Grund liegt zum Beispiel ein Hund einer Toyrasse mit einer Kreatininkonzentration von 1,3 mg/dl (115 μmol/l) innerhalb des „allgemeinen“ Referenzintervalls, der Wert ist für diese Rasse aber als abnorm erhöht zu betrachten.
SDMA
SDMA (symmetrisches Dimethylarginin) ist ein Nebenprodukt des intrazellulären Proteinstoffwechsels und wird hauptsächlich über die Niere auf dem Wege der glomerulären Filtration aus dem Blutkreislauf entfernt. Im Unterschied zu Kreatinin wird die Konzentration des SDMA bei Haustieren aber nicht durch das Geschlecht oder das Körpergewicht beeinflusst (8). Als Filtrationsmarker bietet SDMA somit den Vorteil, dass es von der Muskelmasse unbeeinflusst ist, was in bestimmten Fällen einen früheren Nachweis einer CNE ermöglicht. Aus diesen Gründen wurde SDMA in die Leitlinien der IRIS (International Renal Interest Society) für die Diagnose und Stadieneinteilung von CNE aufgenommen (11). Studien zeigen, dass die Bestimmung von SDMA eine frühere Diagnose von CNE erleichtern kann (12, 13). Sowohl SDMA als auch Kreatinin können unabhängig voneinander zur Beurteilung der Nierenfunktion eingesetzt werden. Wenn im Einzelfall unklar ist, ob ein singulärer Marker die Nierenfunktion präzise widerspiegelt, ist die Bestimmung eines breiteren Profils von Biomarkern ratsam. Besonders hilfreich ist dieser breiter gefasste Ansatz bei Tieren mit sehr hoher oder sehr geringer Muskelmasse, bei denen die Interpretation des sCr-Wertes schwierig sein kann. Eine persistierende Erhöhung der SDMA-Konzentration auf Werte über 14 μg/dl weist auf eine eingeschränkte Nierenfunktion hin, selbst wenn der sCr-Wert innerhalb des Referenzintervalls liegt. Aus diesem Grund gilt SDMA als ein wertvoller Marker zur Identifizierung von Tieren mit CNE im IRIS-Stadium 1 (11). Bei Katzen erweist sich eine erhöhte SDMA-Konzentration im Serum als Einzelmessung oder als Screening-Test zur Bestätigung einer CNE als moderat wirksam, für eine genaue Diagnose und Klassifizierung wird jedoch eine weitere Überwachung empfohlen (13).
Protein/Kreatinin-Verhältnis im Harn (UPC)
Eine persistierende renale Proteinurie kann ein frühes Anzeichen für eine Nierenerkrankung sein und sollte die Abklärung prä-renaler, renaler und post-renaler Ursachen nach sich ziehen. In den meisten Fällen ist eine renale Proteinurie glomerulären Ursprungs, bei diesen Patienten sollten jedoch auch eine tubuläre Proteinurie und in geringerem Maße auch eine interstitielle Proteinurie in Betracht gezogen werden. Ist eine renale Proteinurie bestätigt, sollte sie anhand des Protein/Kreatinin-Verhältnisses im Harn (UPC) quantifiziert werden. Physiologische UPC-Werte liegen sowohl bei Hunden als auch bei Katzen < 0,2, und UPC-Werte zwischen 0,2-0,5 bei Hunden bzw. 0,2-0,4 bei Katzen werden als grenzwertige Proteinurie eingestuft. Eine persistierende renale Proteinurie mit einem UPC-Wert von >0,4 bei Katzen oder >0,5 bei Hunden gilt als abnormer Befund. Eine sehr hochgradige persistierende Proteinurie (UPC >2,0) ist in den meisten Fällen glomerulären Ursprungs und erfordert eine weiterführende diagnostische Abklärung. Glomeruläre Erkrankungen können grob in immunkomplexvermittelte und nicht-immunkomplexvermittelte Erkrankungen unterteilt werden. Das diagnostisches Work-up sollte in erster Linie darauf abzielen, die zugrundeliegende Ursache (z. B. einen Infektionserreger) zu identifizieren, da deren Nachweis und erfolgreiche Eliminierung vorrangige therapeutische Ziele sind, und die Möglichkeit eröffnen, eine vollständige Remission zu erreichen. Eine qualitativ hochwertige Nierenbiopsie, die von einem Nephropathologen oder einer Nephropathologin unter Verwendung spezifischer Färbungen und der Elektronenmikroskopie beurteilt wird, liefert wichtige Informationen für die Charakterisierung des pathologischen Musters und für therapeutische Entscheidungen (z. B. Immunsuppression). Im Falle einer persistierenden renalen Proteinurie sollte die Diagnose CNE im Stadium 1 gestellt werden, auch wenn die Nierenfunktion noch innerhalb physiologischer Grenzen liegt. Veränderungen des Grades einer Proteinurie sollten immer im Zusammenhang mit der Nierenfunktion interpretiert werden, da die Proteinurie in den späten Stadien der CNE aufgrund der Verringerung der Anzahl funktioneller Nephrone abnehmen kann.
Gesamtbeurteilung der Nierenfunktion
Es gibt keinen einzelnen Biomarker mit ausreichend hoher Sensitivität und Spezifität, um das gesamte Spektrum von Nierenerkrankungen und die damit verbundenen komplexen Zusammenhänge präzise zu erfassen. Praktischen Tierärzt*innen wird daher empfohlen, für eine möglichst umfassende Beurteilung der Nierenfunktion immer sämtliche verfügbaren diagnostischen Informationen zu berücksichtigen. Bei Unklarheiten sollten gegebenenfalls zusätzliche diagnostische Verfahren wie die Bildgebung und Nierenbiopsien in Betracht gezogen werden (Abbildung 4). Jeder isolierte Anstieg funktioneller Biomarker oder eine persistierende renale Proteinurie sollte immer die weiterführende diagnostische Abklärung einer möglichen Nierenerkrankung nach sich ziehen. Auch wenn sich die auffälligen Werte bei nachfolgenden Messungen normalisieren, wird bei diesen Patienten eine regelmäßige Überwachung empfohlen, um Veränderungen der Nierenfunktion rechtzeitig zu erkennen (14). Wenn nicht ganz klar ist, ob der Patient eine normale Nierenfunktion aufweist oder ob es sich um eine CNE im Frühstadium handelt, sollten regelmäßige Follow-Up-Untersuchungen in Abständen von wenigen Monaten anberaumt werden, um Trends zu überwachen und gegebenenfalls rechtzeitig therapeutisch intervenieren zu können.

Überwachung von Tieren mit Nierenerkrankung
Biomarker für die Nierenfunktion sind nicht nur wertvolle Hilfsmittel für die Diagnose von Nierenerkrankungen, sondern auch für die Überwachung ihres Fortschreitens. Die Unterscheidung zwischen einer stabilen CNE und einer fortschreitenden CNE hat erhebliche klinische Implikationen auf die diagnostische Beurteilung, die Therapieplanung und die Erstellung der Prognose. Ein gängiger Ansatz zur Überwachung und Beurteilung des Fortschreitens einer CNE sind serielle Messungen von sCr oder SDMA und die Berechnung der Steigerungen („slopes“) dieser Biomarker. Obwohl die Validität von Steigerungen, die von inversen funktionellen Biomarkern (sCr oder SDMA) abgeleitet werden, als Indikatoren für fortschreitende Veränderungen der GFR und der CNE von Evidenzen gestützt wird, gibt es keinen Konsens darüber, welche Steigungswerte tatsächlich eine stabile Nierenfunktion (d. h. stabile CNE) gegenüber einer fortschreitenden CNE definieren (15).
Das SHG ist unspezifisch, und eine renale Ursache sollte erst nach Ausschluss anderer Differentialdiagnosen in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass eine einzelne Probe eines niedrig konzentrierten Harns nicht als Bestätigung eines Verlustes der Harnkonzentrierungsfähigkeit gelten kann.
Neue und neu aufkommende Biomarker
In den letzten Jahren kommen zunehmend weitere Biomarker als wertvolle Hilfsmittel für die Beurteilung der Nierenfunktion und die Überwachung der CNE auf. Eine wesentliche Einschränkung traditioneller Marker besteht darin, dass sie nicht in der Lage sind, Nierenschäden zu erkennen, die nicht mit Veränderungen der Nierenfunktion einhergehen. Die Folge ist, dass erhebliche tubuläre Schäden unerkannt bleiben können, wenn die Nierenfunktion unverändert bleibt. Biomarker für tubuläre Schäden wurden ursprünglich für die Frühdiagnose akuter Nierenschäden untersucht (16), neuere Evidenzen deuten aber darauf hin, dass sie auch für die Diagnose und Überwachung der CNE hilfreich sein könnten.
Cystatin B
Cystatin B ist ein intrazelluläres Protein aus der Familie der Cysteinprotease-Inhibitoren. Es kommt ubiquitär in vielen Zelltypen vor, wird aufgrund seiner intrazellulären Lokalisation in Serum und Harn gesunder Individuen jedoch nur in Spurenkonzentrationen gefunden. Ein Nachweis von Cystatin B im Harn ist ein Hinweis auf eine aktive Schädigung von Epithelzellen der Nierentubuli, die häufig auf Apoptose oder Nekrose zurückzuführen ist (16). Studien an Hunden und Katzen zeigen, dass Cystatin B im Harn auch bei Tieren mit einer anhand von funktionellen Markern als stabil definierten CNE erhöht ist, was darauf hindeutet, dass es selbst bei einer als stabil geltenden CNE zu einer fortschreitenden tubulären Schädigung kommen kann. Dies unterstreicht den potenziellen Nutzen von Cystatin B, wenn es um den frühzeitigen Nachweis von Schäden geht, noch bevor es zu Veränderungen der Konzentrationen funktioneller Marker kommt. Noch nicht vollständig geklärt ist allerdings die Sensitivität von Cystatin B für die Diagnose von CNE im Stadium 1. In einer kürzlich durchgeführten Studie konnte jedoch gezeigt werden, dass mit Hilfe der Bestimmung von Cystatin B im Harn bei Hunden mit CNE im Stadium 1 zwischen stabiler und fortschreitender CNE unterschieden werden kann (17). Dies deutet darauf hin, dass Cystatin B zukünftig ein wertvoller Bestandteil von CNE-Monitoring Protokollen werden könnte. Ein Anstieg des Cystatin B im Vergleich zu vorangegangenen Messungen sollte Tierärzt*innen als Alarmzeichen für mögliche Ursachen gelten, die das Fortschreiten der Erkrankung beschleunigen könnten.
FGF-23
FGF-23 (Fibrobast Growth Factor 23) ist ein phosphaturisches Hormon, das erstmals bei Menschen mit genetischem Phosphatverlustsyndrom identifiziert wurde. Bei gesunden Tieren wird FGF-23 hauptsächlich von Osteozyten und Osteoblasten sezerniert als Reaktion auf eine Hyperphosphatämie und erhöhte Plasma-Calcitriolspiegel. In den Nieren hemmt FGF-23 die Calcitriolproduktion durch Suppression der Aktivität des Vitamin-D-Synthese-Enzyms (25-Hydroxyvitamin D-1α-Hydroxylase) und fördert Phosphaturie durch Downregulierung der Natrium-Phosphor-Typ-II-Cotransporter in den proximalen Tubuli. In der Nebenschilddrüse reduziert FGF-23 die Produktion und Sekretion von Parathormon (PTH) (18). Bei Menschen steigen die FGF-23-Konzentrationen mit abnehmender Nierenfunktion nachweislich an (19), und ähnliche Anstiege werden auch bei Katzen mit CNE beobachtet. Azotämische Katzen mit Hyperphosphatämie weisen im Vergleich zu normophosphatämischen Katzen im gleichen IRIS-Stadium höhere FGF-23-Konzentrationen auf. Dieser Biomarker hat also einen potenziellen Nutzen für das Management des Phosphatspiegels bei Katzen mit CNE. Nicht empfohlen wird die Messung von FGF-23 bei hyperphosphatämischen Katzen, da in diesen Fällen ein erhöhter Wert zu erwarten ist. Dagegen können erhöhte FGF-23-Werte bei normophosphatämischen Katzen mit CNE auf die Notwendigkeit einer weiteren Phosphorrestriktion hinweisen (19).
Eine wesentliche Einschränkung traditioneller Marker besteht darin, dass sie nicht in der Lage sind, Nierenschäden zu erkennen, die nicht mit Veränderungen der Nierenfunktion einhergehen, so dass erhebliche tubuläre Schäden unerkannt bleiben können, wenn die Nierenfunktion unverändert bleibt.
Schlussfolgerung
Die Diagnose und die Behandlung der chronischen Nierenerkrankung gehören in der Kleintierpraxis zur alltäglichen Routine. Aufgrund der signifikanten funktionellen Reservekapazität der Nieren sind klinische Symptome in den frühen Stadien dieser Erkrankung aber oft nicht vorhanden. Da die Harnkonzentrierungsfähigkeit der Niere in vielen Fällen zeitlich bereits vor anderen zur CNE-Diagnose verwendeten Parametern sinkt, sollte bei jedem Tier mit Polyurie und Polydipsie das spezifische Harngewicht (SHG) gemessen werden. Allerdings handelt es sich hierbei um einen unspezifischen Test, und es muss berücksichtigt werden, dass ein vermindertes SHG auch bei anderen Erkrankungen auftreten kann. SDMA und Kreatinin können unabhängig voneinander zur Beurteilung der Nierenfunktion herangezogen werden, bei Verdacht auf eine Nierenschädigung ist es jedoch oft ratsam, ein breiteres Profil von Biomarkern zu erstellen. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen stabiler und fortschreitender CNE, da dies erhebliche klinische Implikationen auf die diagnostische Evaluierung, die Behandlungsoptionen und die Prognose hat. Um die Sensitivität dieser Parameter zu optimieren, sind serielle Messungen zu empfehlen. In letzter Zeit werden einige neuartige Biomarker identifiziert, die in Zukunft eine frühere und präzisere Diagnose von CNE ermöglichen könnten.
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Gilad Segev
BSc, DVM, Dip. ECVIM-CA (Internal Medicine), Koret-School of Veterinary Medicine, Rehovot, Israel
Dr. Segev schloss sein Tiermedizinstudium im Jahr 2000 an der Koret School of Veterinary Medicine der Hebrew University of Jerusalem in Israel ab und absolvierte anschließend ein rotierendes Internship und eine Residency im Bereich Small Animal Internal Medicine an dieser Universität. Im Jahr 2005 erhielt er das ECVIM-CA-Diplom und absolvierte anschließend ein Fellowship in Nephrologie und Hämodialyse an der University of California, Davis, bevor er an die Koret School zurückkehrte, wo er heute Direktor des Veterinary Teaching Hospital ist. Dr. Segev ist Präsident von IRIS und Gründungsmitglied des ACVNU.
Alexandra Slon
BSc, DVM, ECVIM-CA board-eligible, Midwestern University College of Veterinary Medicine, Glendale, Arizona, USA
Dr. Alexandra Slon schloss ihr Tiermedizinstudium im Jahr 2018 an der Koret School of Veterinary Medicine in Rehovot, Israel, ab. Bereits während ihres Studiums arbeitete sie im Emergency and Critical Care Department des Veterinary Teaching Hospital. Anschließend absolvierte sie ein rotierendes Internship im Bereich Emergency and Critical Care, gefolgt von einem 18-monatigen Post-Internship im Bereich Internal Medicine. Vor kurzem schloss sie eine ECVIM-CA Residency am Koret Veterinary Teaching Hospital ab und ist jetzt board-eligible, also berechtigt, das Diplom des ECVIM-CA zu erlangen. Dr. Slon ist zurzeit Clinical Assistant Professor am Midwestern University College of Veterinary Medicine in Glendale, Arizona.