Chirurgische Resektionsränder – sind sie wichtig?
Geschrieben von Ryan Jennings
Gibt ein Pathologiebericht dem Chirurgen die richtige Auskunft darüber, wie erfolgreich die Tumorresektion war? Dieser Artikel beleuchtet mögliche Probleme bei der Interpretation histopathologischer Proben und Berichte.
Article

Kernaussagen
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Tumor rezidiviert, obwohl laut Pathologiebericht eine vollständige Exzision vorliegt – und umgekehrt kann die Exzision als unvollständig beschrieben werden, ohne dass der Tumor rezidiviert.
In der Humanmedizin werden Klassifikationsschemata verwendet, die Kliniker*innen den Status des Resektionsrandes verdeutlichen und es ihnen ermöglichen, fundierte therapeutische Entscheidungen zu treffen.
Ein Großteil der Diskrepanz zwischen Tumorrand und Rezidivrate lässt sich zumindest teilweise erklären, wenn wir den Prozess der histopathologischen Evaluierung einer chirurgischen Biopsieprobe verstehen.
Färben ist ein wirksames Mittel, um Pathologen eine klare und genaue Identifizierung von Resektionsrändern exzidierter Zubildungen zu ermöglichen.
Einleitung
Aus biologischer Sicht ist es durchaus sinnvoll, davon auszugehen, dass die vollständige Exzision einer malignen Neoplasie kurativ ist (Neoplasie/Tumor in diesem Artikel bedeutet = maligne) (Abbildung 1). Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele, in denen ein Tumor laut Pathologiebericht vollständig „exzidiert“ wurde und dennoch rezidiviert – oder umgekehrt, ein als nicht vollständig exzidiert beschriebener Tumor kein Rezidiv bildet (1-3). Vor diesem Hintergrund können wir zu dem Schluss kommen, dass die Begriffe „vollständige Exzision“ bzw. „unvollständige Exzision“ nicht die ganze Wahrheit sind. Was ist also die eigentliche Ursache dieser scheinbar paradoxen Szenarien? Diese Frage ist natürlich sehr weitreichend, in diesem Artikel werden wir uns aber auf einige klinisch relevante Aspekte fokussieren.

Semantik
Sind also Resektionsränder wichtig? Aufgrund der fehlenden Standardisierung der in Pathologieberichten und Studien verwendeten Sprache ist diese Frage nicht ohne weiteres zu beantworten. Häufig in Pathologieberichten verwendete Begriffe wie „sauber“, „unsauber“, „eng“ und „schmal“ sind mehrdeutig und können je nach Auslegung unterschiedlich definiert werden (4, 5). Dringend erforderlich ist daher eine Harmonisierung der Sprache, um konkretere Werte und damit biologisch relevante Informationen zu erhalten.
In der Humanmedizin wurden aus diesen Gründen Schemata zur Klassifikation von Resektionsrändern entwickelt, wie zum Beispiel das „Residual Tumor Classification Scheme“ (Residualtumor-Klassifikation), die eine Klassifizierung (z. B. R0, R1, R2) auf der Basis definierter makroskopischer und/oder histologischer Bewertungen von Resektionsrändern vornehmen. Eine einfache Buchstaben- Zahlen-Kombination liefert hierbei eine klare, unzweideutige Information: zum Beispiel R1 = histologisch unvollständige Exzision (4). Der einsendende Chirurg erhält dadurch einen deutlichen Status der Resektionsränder und kann fundierte therapeutische Entscheidungen treffen. Darüber hinaus ermöglicht diese Standardisierung der Resektionsränder besser übertragbare prognostische Studien. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass jedes entsprechend entwickelte Klassifizierungsschema mit biologischen Outcomes (z. B. krankheitsfreie Intervalle, Überlebenszeiten) korreliert werden sollte, was wiederum robuste prospektive Studien voraussetzt. Trotz des nachweislichen Nutzens solcher Klassifikationssysteme für Resektionsränder gibt es in der Veterinärmedizin derzeit nichts Vergleichbares.
Beurteilung chirurgischer Proben
Ein Großteil der Diskrepanz zwischen Tumorrand und Rezidivrate lässt sich zumindest teilweise erklären, wenn wir den Prozess der histopathologischen Evaluierung einer chirurgischen Biopsieprobe verstehen, wobei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen.
Ein ideales Verfahren zur Kenntlichmachung von Resektionsrändern ist die Einfärbung von Proben durch den einsendenden Chirurgen unmittelbar nach der Exzision, da dieser am besten weiß, wo die tatsächlichen Resektionsränder liegen. Untersuchungen zufolge ist das Einfärben ein wirksames Mittel, um eine klare und genaue Identifizierung von Resektionsrändern sicherzustellen (5-7). Trotz der Einfachheit dieses Verfahrens und der wertvollen Informationen handelt es sich um eine äußerst selten angewandte Praxis, ohne die der Histopathologe, der die Probe präpariert und untersucht, letztlich nur Vermutungen darüber anstellen kann, wo die tatsächlichen Resektionsränder liegen (Abbildung 2).




Tumorbiologie
Der Begriff „histologischer Sicherheitsabstand“ (Histologic Safety Margin; HSM) definiert das minimale Normalgewebe zwischen Resektionsrand und Tumor (also den histologisch tumorfreien Abstand), das für ein spezifisches Outcome, wie zum Beispiel ein reduziertes Rezidivrisiko, vorhanden sein muss. In der Humanmedizin ist der histologische Sicherheitsabstand ein prioritärer Faktor, der für jeden Tumortyp eine strenge und standardisierte Untersuchung erfordert und bestimmte klinische/chirurgische Ziele definiert, die mit bestimmten Outcomes korrelieren.
Bei Weichteilgewebesarkomen gilt die vollständige Exzision als vorrangiges chirurgisches Ziel, nicht bekannt ist aber, wie groß der histologisch tumorfreie Abstand exakt sein muss, um die Rezidivrate zu senken oder Rezidive zu verhindern (1). Darüber hinaus wird in vielen Studien, die sich mit dieser biologischen Frage befassen, der Begriff „vollständige Exzision“ unterschiedlich definiert, und zahlreiche Studien stellen fest, dass selbst eine „unvollständige“ Exzision nicht unvermeidlich ein Rezidivierung des Tumors zur Folge haben muss. So wurde in einigen Studien bei unvollständig exzidierten Weichteilgewebesarkomen ein Rezidivrate von nur etwa 33 % festgestellt (11). Weichteilgewebesarkome werden histologisch auf einer Skala von 1 bis 3 (Low Garde – High Grade) eingestuft (12), und es hat sich gezeigt, dass der histologische Grad ein zuverlässigerer Prädiktor einer Rezidivbildung und der biologischen Aggressivität von Weichteilgewebesarkomen ist als der Status der Resektionsränder (1). Dennoch ist aber auch dieses Grading-System unvollkommen und nicht validiert, was wiederum unsere Lücken im Verständnis der Tumor-Wirt-Biologie verdeutlicht.
Häufig in Pathologieberichten verwendete Begriffe wie „sauber“, „unsauber“, „eng“ und „schmal“ sind mehrdeutig und können je nach Auslegung unterschiedlich definiert werden. Dringend erforderlich ist daher eine Harmonisierung der Sprache, um konkretere Werte und damit biologisch relevante Informationen zu erhalten.
Schlussfolgerung
Praktische Tierärzt*innen sollten ermutigt werden, die Praxis des Einfärbens der Resektionsränder von Tumorproben vor der Einsendung zur histopathologischen Untersuchung zu nutzen. Es handelt sich um ein einfaches, kostengünstiges und effektives Verfahren, um die Lokalisation und die Orientierung von Resektionsrändern wirksam zu kommunizieren. Für Patholog*innen kann diese Information bei der Beurteilung von Proben sehr wertvoll sein. Es besteht ein deutlicher Bedarf an robusten prospektiven Studien und einer Harmonisierung der Evaluierung, der Schnitttechniken und der Kommunikation bei der Bewertung chirurgischer Proben. Am besten erreichen wir dies durch eine enge Zusammenarbeit zwischen praktischen Tierärzt*innen, Chirurg*innen, Onkolog*innen und Patholog*innen, die alle eine integrale Rolle beim Patientenmanagement und in der Diagnostik spielen. Möglicherweise werden wir in der Zukunft unser Verständnis des Nutzens einer Bestimmung von Resektionsrändern in der veterinärmedizinischen Onkologie neu bewerten müssen, dies wird aber sicherlich nur auf der Basis einer strengen wissenschaftlichen Bewertung möglich sein.
Literaturhinweis
Liptak JM. Histologic margins and the residual tumour classification scheme: Is it time to use a validated scheme in human oncology to standardise margin assessment in veterinary oncology? Vet. Comp. Oncol. 2020;18(1):25-35.
Literatur
1. Chiti LE, Ferrari R, Roccabianca P, et al. Surgical margins in canine cutaneous soft-tissue sarcomas: a dichotomous classification system does not accurately predict the risk of local recurrence. Animal (Open Access. J.) 2021;11(8):2367.
2. Bray JP. Soft tissue sarcoma in the dog – Part 2: surgical margins, controversies and a comparative review. J. Small Anim. Pract. 2017;58(2):63-72.
3. Dores CB, Milovancev M, Russell DS. Comparison of histologic margin status in low-grade cutaneous and subcutaneous canine mast cell tumours examined by radial and tangential sections. Vet. Comp. Oncol. 2018;16(1):125-130.
4. Liptak JM. Histologic margins and the residual tumour classification scheme: Is it time to use a validated scheme in human oncology to standardise margin assessment in veterinary oncology? Vet. Comp. Oncol. 2020;18(1):25-35.
5. Milovancev M, Russell DS. Surgical margins in the veterinary cancer patient. Vet. Comp. Oncol. 2017;15(4):1136-1157.
6. Milovancev M, Löhr CV, Bildfell RJ, et al. A comparison of microscopic ink characteristics of 35 commercially available surgical margin inks. Vet. Surg. 2013;42(8):901-908.
7. Kiser PK, Löhr CV, Meritet D, et al. Histologic processing artifacts and inter-pathologist variation in measurement of inked margins of canine mast cell tumors. J. Vet. Diagn. Investig. 2018;30(3):377-385.
8. Risselada M, Mathews KG, Griffith E. Effect of feline skin specimen preparation on postexcision and postfixation tissue shrinkage. J. Feline Med. Surg. 2016;18(12):970-975.
9. Upchurch DA, Klocke EE, Henningson JN. Amount of skin shrinkage affecting tumor versus grossly normal marginal skin of dogs for cutaneous mast cell tumors excised with curative intent. Am. J. Vet. Res. 2018;79(7):779-786.
10. Stromberg PC, Meuten DJ. Trimming tumors for diagnosis and prognosis. In: Tumors in Domestic Animals [Internet]. John Wiley & Sons, Ltd; 2016;27-43.
11. Milovancev M, Tuohy JL, Townsend KL, et al. Influence of surgical margin completeness on risk of local tumour recurrence in canine cutaneous and subcutaneous soft tissue sarcoma: A systematic review and meta-analysis. Vet. Comp. Oncol. 2019;17(3):354-364.
12. Dennis MM, McSporran KD, Bacon NJ, et al. Prognostic factors for cutaneous and subcutaneous soft tissue sarcomas in dogs. Vet. Pathol. 2011;48(1):73-84.
Ryan Jennings
DVM, PhD, Dip. ACVP (Anatomische Pathologie), The Ohio State University (OSU), Columbus, OH, USA
Professor Jennings erwarb seine tierärztliche Approbation (DVM) 2008 an der Michigan State University und absolvierte anschließend eine dreijährige Residency im Bereich anatomische Veterinärpathologie an der Purdue University in Indiana. Im Jahr 2011 bekam er das Diplom des American College of Veterinary Pathologists, bevor er an der Wake Forest School of Medicine in North Carolina promovierte (PhD). Derzeit ist Dr. Jennings Associate Professor und Pathologe an der Ohio State University. Zu seinen klinischen und wissenschaftlichen Interessen gehören die diagnostische Dermatopathologie, die Beurteilung von Resektionsrändern und die Mastzellenerkrankung bei Hunden.