Chirurgische Resektionsränder – sind sie wichtig?

Geschrieben von Ryan Jennings

Gibt ein Pathologiebericht dem Chirurgen die richtige Auskunft darüber, wie erfolgreich die Tumorresektion war? Dieser Artikel beleuchtet mögliche Probleme bei der Interpretation histopathologischer Proben und Berichte.

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5 - 15 min
Pathologe, der einen Tumorabschnitt unter dem Mikroskop untersucht.

Kernaussagen

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Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Tumor rezidiviert, obwohl laut Pathologiebericht eine vollständige Exzision vorliegt – und umgekehrt kann die Exzision als unvollständig beschrieben werden, ohne dass der Tumor rezidiviert.

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In der Humanmedizin werden Klassifikationsschemata verwendet, die Kliniker*innen den Status des Resektionsrandes verdeutlichen und es ihnen ermöglichen, fundierte therapeutische Entscheidungen zu treffen.

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Ein Großteil der Diskrepanz zwischen Tumorrand und Rezidivrate lässt sich zumindest teilweise erklären, wenn wir den Prozess der histopathologischen Evaluierung einer chirurgischen Biopsieprobe verstehen.

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Färben ist ein wirksames Mittel, um Pathologen eine klare und genaue Identifizierung von Resektionsrändern exzidierter Zubildungen zu ermöglichen.


Einleitung

Aus biologischer Sicht ist es durchaus sinnvoll, davon auszugehen, dass die vollständige Exzision einer malignen Neoplasie kurativ ist (Neoplasie/Tumor in diesem Artikel bedeutet = maligne) (Abbildung 1). Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele, in denen ein Tumor laut Pathologiebericht vollständig „exzidiert“ wurde und dennoch rezidiviert – oder umgekehrt, ein als nicht vollständig exzidiert beschriebener Tumor kein Rezidiv bildet (1-3). Vor diesem Hintergrund können wir zu dem Schluss kommen, dass die Begriffe „vollständige Exzision“ bzw. „unvollständige Exzision“ nicht die ganze Wahrheit sind. Was ist also die eigentliche Ursache dieser scheinbar paradoxen Szenarien? Diese Frage ist natürlich sehr weitreichend, in diesem Artikel werden wir uns aber auf einige klinisch relevante Aspekte fokussieren.

Tumorbeurteilung bei einem Hund.
Abbildung 1. Beurteilung eines Hauttumors bei einem Hund; der Chirurg/die Chirurgin wird entscheiden wollen, wie breit die Resektionsränder sein sollen, um das Risiko eines Rezidivs zu minimieren. © Shutterstock

Semantik

Sind also Resektionsränder wichtig? Aufgrund der fehlenden Standardisierung der in Pathologieberichten und Studien verwendeten Sprache ist diese Frage nicht ohne weiteres zu beantworten. Häufig in Pathologieberichten verwendete Begriffe wie „sauber“, „unsauber“, „eng“ und „schmal“ sind mehrdeutig und können je nach Auslegung unterschiedlich definiert werden (4, 5). Dringend erforderlich ist daher eine Harmonisierung der Sprache, um konkretere Werte und damit biologisch relevante Informationen zu erhalten. 

In der Humanmedizin wurden aus diesen Gründen Schemata zur Klassifikation von Resektionsrändern entwickelt, wie zum Beispiel das „Residual Tumor Classification Scheme“ (Residualtumor-Klassifikation), die eine Klassifizierung (z. B. R0, R1, R2) auf der Basis definierter makroskopischer und/oder histologischer Bewertungen von Resektionsrändern vornehmen. Eine einfache Buchstaben- Zahlen-Kombination liefert hierbei eine klare, unzweideutige Information: zum Beispiel R1 = histologisch unvollständige Exzision (4). Der einsendende Chirurg erhält dadurch einen deutlichen Status der Resektionsränder und kann fundierte therapeutische Entscheidungen treffen. Darüber hinaus ermöglicht diese Standardisierung der Resektionsränder besser übertragbare prognostische Studien. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass jedes entsprechend entwickelte Klassifizierungsschema mit biologischen Outcomes (z. B. krankheitsfreie Intervalle, Überlebenszeiten) korreliert werden sollte, was wiederum robuste prospektive Studien voraussetzt. Trotz des nachweislichen Nutzens solcher Klassifikationssysteme für Resektionsränder gibt es in der Veterinärmedizin derzeit nichts Vergleichbares. 

Beurteilung chirurgischer Proben

Ein Großteil der Diskrepanz zwischen Tumorrand und Rezidivrate lässt sich zumindest teilweise erklären, wenn wir den Prozess der histopathologischen Evaluierung einer chirurgischen Biopsieprobe verstehen, wobei verschiedene Faktoren eine Rolle spielen.

Ein ideales Verfahren zur Kenntlichmachung von Resektionsrändern ist die Einfärbung von Proben durch den einsendenden Chirurgen unmittelbar nach der Exzision, da dieser am besten weiß, wo die tatsächlichen Resektionsränder liegen. Untersuchungen zufolge ist das Einfärben ein wirksames Mittel, um eine klare und genaue Identifizierung von Resektionsrändern sicherzustellen (5-7). Trotz der Einfachheit dieses Verfahrens und der wertvollen Informationen handelt es sich um eine äußerst selten angewandte Praxis, ohne die der Histopathologe, der die Probe präpariert und untersucht, letztlich nur Vermutungen darüber anstellen kann, wo die tatsächlichen Resektionsränder liegen (Abbildung 2). 

Anfärben der Operationsränder auf dem entfernten Gewebe, das den Tumor enthält.
Abbildung 2. Kommerzielle Tinten/Tuschen zur Markierung eines Tumors sind in vielen Farben erhältlich (a), wobei grün, schwarz und blau wahrscheinlich am nützlichsten sind. Der gesamte Resektionsrand wird mit einem unsterilen Wattestäbchen mit der Farblösung bestrichen (b) und ca. 5 Minuten trocknen gelassen, bevor die Probe in Formalin gelegt wird. Ein Querschnitt des eingefärbten Präparats zeigt die seitlichen und tiefen Resektionsränder, deutlich markiert durch die schwarze Tusche (c). Dieses Pigment wird auch in der Histopathologie sichtbar sein. © Ryan Jennings
Darüber hinaus kann auch eine Deformation des exzidierten Gewebes das deutliche Erkennen von Resektionsrändern erschweren. Bei dieser Gewebedeformation handelt es sich um die Rekonfiguration von Größe, Ausrichtung und Form des Gewebes, die bereits unmittelbar nach der chirurgischen Inzision einsetzt und einen unvorhersehbaren Störfaktor bei der Beurteilung von Resektionsrändern darstellen kann (8, 9). In der Tat kann die damit einhergehende Verschiebung sogar so stark ausgeprägt sein, dass die Schichten des chirurgischen Präparats neu ausgerichtet werden (5). Am ausführlichsten dokumentiert ist diese Verformung bei Hautpräparaten, wo sie unter anderem durch die anatomische Lokalisation, das Alter und weitere Faktoren beeinflusst wird. Eingesandtes Gewebe hat infolge dieser Verformungen häufig ein völlig anderes Erscheinungsbild als das ursprünglich vom Chirurgen exzidierte Gewebe, und letztlich erschwert dies noch zusätzlich eine genaue Beurteilung von Resektionsrändern durch den Pathologen (Abbildung 3). 
Gewebepräparation und -verarbeitung nach chirurgischer Entfernung eines Tumors.
Abbildung 3. Unter Gewebedeformation versteht man die Rekonfiguration von Größe, Ausrichtung und Form des Gewebes, die unmittelbar nach der chirurgischen Inzision beginnt und sich negativ auf die Möglichkeit einer klaren Identifizierung von Resektionsränder durch den Pathologen auswirkt. © Shutterstock
Wenn Tumoren für die histopathologische Beurteilung mit der Standardschnitttechnik des Senkrechtschnitts entnommen werden, kann der Pathologe 1) eine Diagnose stellen und 2) den Abstand zwischen neoplastischen Zellen und dem (vermutlichen) Resektionsrand angeben (10). Dieser Abstand wird als „histologisch tumorfreier Abstand“ (histologic tumor-free distance oder HTFD) oder häufig auch als „tumorfreier Schnittrand“ bezeichnet und traditionell in histopathologischen Berichten angegeben. Da senkrechte histologische Schnitte jedoch nur etwa 5 µm dick sind und insgesamt nur wenige Schnitte evaluiert werden, begutachtet der Pathologe letztlich weniger als 1 % des gesamten Tumorrands (Abbildung 4). Dies hat zur Folge, dass der im Bericht angegebene histologisch tumorfreie Abstand möglicherweise nicht genau dem tatsächlichen Rand entspricht. Zudem zeigen Studien, dass verschiedene Tumoren unterschiedliche Infiltrationsmuster aufweisen, die oft asymmetrisch sind, und so die Ermittlung der für die Evaluierung repräsentativsten Ränder zusätzlich erschweren (Abbildung 5). Die endgültige Diagnose „vollständige Exzision“ (d. h. histologisch tumorfreier Abstand > 0) ist kein absoluter Wert, sondern eine Schätzung auf der Grundlage einer recht limitierten Gewebeuntersuchung. Eine umfassendere Evaluierung von Resektionsrändern (vollständig en face oder tangential) ist zeitaufwändig, kostspielig und von fraglichem praktischem Wert, obwohl dies für verschiedene Tumorarten untersucht wurde und weiterhin wird (3). 
Pathologe, der einen Tumorabschnitt unter dem Mikroskop untersucht.
Abbildung 4. Ein Pathologe evaluiert im Allgemeinen weniger als 1 % des gesamten Tumors. Da senkrechte histologische Schnitte nur etwa 5 µm dick sind und nur einige wenige Schnitte beurteilt werden, kann dies eine genaue Identifizierung der Resektionsränder erschweren. © Shutterstock
Abbildung eines infiltrativen Tumors und wahrscheinliche Ränder basierend auf Gewebeschnitten in verschiedenen Ebenen.
Abbildung 5. Infiltrative Tumoren, wie z. B. ein Weichteilgewebesarkom, weisen oft asymmetrische und unvorhersehbare Infiltrationsmuster auf, die eine Interpretation der Resektionsränder erheblich beeinträchtigen können. Die Abbildung zeigt unterschiedliche histopathologische Schlussfolgerungen, die sich aus einem Schnitt in Region 1 (blau) und Region 2 (rosa) ergeben können. Die Folge sind zwei unterschiedliche histopathologische Einschätzungen der Resektionsränder. © Tumors in Domestic Animals 5th ed, Wiley-Blackwell, Feb 2020/Redrawn by Sandrine Fontègne

Tumorbiologie

Der Begriff „histologischer Sicherheitsabstand“ (Histologic Safety Margin; HSM) definiert das minimale Normalgewebe zwischen Resektionsrand und Tumor (also den histologisch tumorfreien Abstand), das für ein spezifisches Outcome, wie zum Beispiel ein reduziertes Rezidivrisiko, vorhanden sein muss. In der Humanmedizin ist der histologische Sicherheitsabstand ein prioritärer Faktor, der für jeden Tumortyp eine strenge und standardisierte Untersuchung erfordert und bestimmte klinische/chirurgische Ziele definiert, die mit bestimmten Outcomes korrelieren. 

Bei Weichteilgewebesarkomen gilt die vollständige Exzision als vorrangiges chirurgisches Ziel, nicht bekannt ist aber, wie groß der histologisch tumorfreie Abstand exakt sein muss, um die Rezidivrate zu senken oder Rezidive zu verhindern (1). Darüber hinaus wird in vielen Studien, die sich mit dieser biologischen Frage befassen, der Begriff „vollständige Exzision“ unterschiedlich definiert, und zahlreiche Studien stellen fest, dass selbst eine „unvollständige“ Exzision nicht unvermeidlich ein Rezidivierung des Tumors zur Folge haben muss. So wurde in einigen Studien bei unvollständig exzidierten Weichteilgewebesarkomen ein Rezidivrate von nur etwa 33 % festgestellt (11). Weichteilgewebesarkome werden histologisch auf einer Skala von 1 bis 3 (Low Garde – High Grade) eingestuft (12), und es hat sich gezeigt, dass der histologische Grad ein zuverlässigerer Prädiktor einer Rezidivbildung und der biologischen Aggressivität von Weichteilgewebesarkomen ist als der Status der Resektionsränder (1). Dennoch ist aber auch dieses Grading-System unvollkommen und nicht validiert, was wiederum unsere Lücken im Verständnis der Tumor-Wirt-Biologie verdeutlicht.

Häufig in Pathologieberichten verwendete Begriffe wie „sauber“, „unsauber“, „eng“ und „schmal“ sind mehrdeutig und können je nach Auslegung unterschiedlich definiert werden. Dringend erforderlich ist daher eine Harmonisierung der Sprache, um konkretere Werte und damit biologisch relevante Informationen zu erhalten.

Ryan Jennings

Schlussfolgerung

Praktische Tierärzt*innen sollten ermutigt werden, die Praxis des Einfärbens der Resektionsränder von Tumorproben vor der Einsendung zur histopathologischen Untersuchung zu nutzen. Es handelt sich um ein einfaches, kostengünstiges und effektives Verfahren, um die Lokalisation und die Orientierung von Resektionsrändern wirksam zu kommunizieren. Für Patholog*innen kann diese Information bei der Beurteilung von Proben sehr wertvoll sein. Es besteht ein deutlicher Bedarf an robusten prospektiven Studien und einer Harmonisierung der Evaluierung, der Schnitttechniken und der Kommunikation bei der Bewertung chirurgischer Proben. Am besten erreichen wir dies durch eine enge Zusammenarbeit zwischen praktischen Tierärzt*innen, Chirurg*innen, Onkolog*innen und Patholog*innen, die alle eine integrale Rolle beim Patientenmanagement und in der Diagnostik spielen. Möglicherweise werden wir in der Zukunft unser Verständnis des Nutzens einer Bestimmung von Resektionsrändern in der veterinärmedizinischen Onkologie neu bewerten müssen, dies wird aber sicherlich nur auf der Basis einer strengen wissenschaftlichen Bewertung möglich sein.

 

Literaturhinweis

Liptak JM. Histologic margins and the residual tumour classification scheme: Is it time to use a validated scheme in human oncology to standardise margin assessment in veterinary oncology? Vet. Comp. Oncol. 2020;18(1):25-35. 

 

Literatur

1. Chiti LE, Ferrari R, Roccabianca P, et al. Surgical margins in canine cutaneous soft-tissue sarcomas: a dichotomous classification system does not accurately predict the risk of local recurrence. Animal (Open Access. J.) 2021;11(8):2367.

2. Bray JP. Soft tissue sarcoma in the dog – Part 2: surgical margins, controversies and a comparative review. J. Small Anim. Pract. 2017;58(2):63-72.

3. Dores CB, Milovancev M, Russell DS. Comparison of histologic margin status in low-grade cutaneous and subcutaneous canine mast cell tumours examined by radial and tangential sections. Vet. Comp. Oncol. 2018;16(1):125-130.

4. Liptak JM. Histologic margins and the residual tumour classification scheme: Is it time to use a validated scheme in human oncology to standardise margin assessment in veterinary oncology? Vet. Comp. Oncol. 2020;18(1):25-35.

5. Milovancev M, Russell DS. Surgical margins in the veterinary cancer patient. Vet. Comp. Oncol. 2017;15(4):1136-1157.

6. Milovancev M, Löhr CV, Bildfell RJ, et al. A comparison of microscopic ink characteristics of 35 commercially available surgical margin inks. Vet. Surg. 2013;42(8):901-908.

7. Kiser PK, Löhr CV, Meritet D, et al. Histologic processing artifacts and inter-pathologist variation in measurement of inked margins of canine mast cell tumors. J. Vet. Diagn. Investig. 2018;30(3):377-385.

8. Risselada M, Mathews KG, Griffith E. Effect of feline skin specimen preparation on postexcision and postfixation tissue shrinkage. J. Feline Med. Surg. 2016;18(12):970-975.

9. Upchurch DA, Klocke EE, Henningson JN. Amount of skin shrinkage affecting tumor versus grossly normal marginal skin of dogs for cutaneous mast cell tumors excised with curative intent. Am. J. Vet. Res. 2018;79(7):779-786.

10. Stromberg PC, Meuten DJ. Trimming tumors for diagnosis and prognosis. In: Tumors in Domestic Animals [Internet]. John Wiley & Sons, Ltd; 2016;27-43.

11. Milovancev M, Tuohy JL, Townsend KL, et al. Influence of surgical margin completeness on risk of local tumour recurrence in canine cutaneous and subcutaneous soft tissue sarcoma: A systematic review and meta-analysis. Vet. Comp. Oncol. 2019;17(3):354-364.

12. Dennis MM, McSporran KD, Bacon NJ, et al. Prognostic factors for cutaneous and subcutaneous soft tissue sarcomas in dogs. Vet. Pathol. 2011;48(1):73-84.

 

Ryan Jennings

Ryan Jennings

DVM, PhD, Dip. ACVP (Anatomische Pathologie), The Ohio State University (OSU), Columbus, OH, USA

Professor Jennings erwarb seine tierärztliche Approbation (DVM) 2008 an der Michigan State University und absolvierte anschließend eine dreijährige Residency im Bereich anatomische Veterinärpathologie an der Purdue University in Indiana. Im Jahr 2011 bekam er das Diplom des American College of Veterinary Pathologists, bevor er an der Wake Forest School of Medicine in North Carolina promovierte (PhD). Derzeit ist Dr. Jennings Associate Professor und Pathologe an der Ohio State University. Zu seinen klinischen und wissenschaftlichen Interessen gehören die diagnostische Dermatopathologie, die Beurteilung von Resektionsrändern und die Mastzellenerkrankung bei Hunden.